SPACE INVASION
Drei Ausstellungen junger Kunst in der ehemaligen Portierswohnung des Österreichischen Museums für
Volkskunde
Auszug aus dem Projekttext von Herbert Justnik
Vom
23.01. bis 27.04.2008 fand im Österreichischen Museum für
Volkskunde die Ausstellungsreihe
„Space Invasion“ statt.
Drei in Österreich lebende KünstlerInnen präsentierten
für jeweils etwa drei Wochen
in aufeinanderfolgenden Ausstellungen
raumspezifische Arbeiten, die sich mit der ehemaligen
Portierswohnung
des Museums für Volkskunde auseinandersetzten. Das
Format „Space Invasion“ wurde
2006 von der freischaffenden
Kuratorin Elsy Lahner entwickelt. Die Ausstellungsreihe findet geblockt
und
in wechselnden Räumlichkeiten statt, um in temporären
„Invasionen“ zu einer kulturellen Belebung des
jeweiligen
Stadtviertels beizutragen. Außerhalb des etablierten
Kunstbetriebs werden jene zeitgenössischen
Kunstpositionen
vorgestellt, die die österreichische und internationale Kunstszene
von morgen prägen
werden. Ziel ist es, diese Positionen in neuen
Zusammenhängen zu zeigen und auch die Wiener
Kunstlandschaft um
eine Facette zu bereichern.
Schauplatz
der ersten Ausstellungsreihe im Frühjahr 2006 war ein
leerstehendes Geschäftslokal in der
Nähe des
Südbahnhofs. In drei einwöchigen Ausstellungen wurden dort
Arbeiten junger KünstlerInnen
aus dem Bereich der Video- und
Rauminstallation gezeigt.
Für
die zweite „Invasion“ wurde als Ausstellungsort ein
Raum im 1. Bezirk, in einer kleinen Passage am
Bauernmarkt,
gewählt, dieses Mal mit dem Schwerpunkt Malerei, Zeichnung und
Grafik.
Die
dritte Station war die Laudongasse. Die Portierswohnung des
Volkskundemuseums stand in den letzten
Jahren leer und wurde als
Abstellraum genützt. Die Räume lassen noch klar erkennen,
dass sie bis vor
kurzem als Wohnraum gedient haben und stellen damit
alles andere als einen „White Cube“ – den neutralen
weißen Raum, von dem Kunst bei ihrer Präsentation nicht
beeinflusst wird – dar. Während der „White Cube“
ein ästhetisch vordefinierter Raum ist, hat man es hier mit
Zeichen lebensweltlicher Nutzung zu tun. Räume,
in denen sich
mehrere Funktionszusammenhänge kreuzen und die vielfältige
Reaktionsmöglichkeiten für die
KünsterInnen boten. Es
handelt sich bei dieser Wohnung nicht um eine klassische Situation in
einem
Wohnhaus, sondern um Räumlichkeiten die in einem konkreten
funktionalen Verhältnis zum Museum
standen, privater Raum in einem
öffentlichen Gebäude. Die/der Hausmeister/in stand in einem
Beschäftigungsverhältnis zum Museum und hatte auch einen Teil
ihres/seines Arbeitsplatzes in diesen
Räumen. Diese liegen in
einem speziellen Gebäudetypus, ein Verhältnis, das ebenfalls
Anreize zur
Auseinandersetzung bot. Gleiches galt für die
Situation des Volkskundemusems im Palais Schönborn,
dem ehemaligen
Sommersitz der Fürsten. Historische, herrschaftliche Architektur,
die in ein kulturwissen-
schaftliches Museum umfunktioniert wurde und
sich nun der Repräsentation von Geschichte/n und
kulturellen
Fragestellungen widmet. Sowohl die architektonische Situation, als auch
die Funktion des
Museums als Wissensspeicher wurden als Anregungen
gesehen. Die erste Ausstellung wurde von
Corinne L. Rusch gestaltet und
bearbeitete unter anderem das Feld der Herrschaftsrepräsentation
über
Architektur. Für den zweiten Teil der Reihe
beschäftigte sich Markus Hofer mit dem Produktionsprozess
von
Geschichte/n. In der abschließenden dritten Präsentation
widmete sich Gregor Graf der Thematik
des Wohnens.
Neben
den jeweiligen Ausstellungen erstreckten sich die künstlerischen
Interventionen auch auf das
Museum selbst und setzten dort Spuren
– in der Schausammlung und im Hof des Museums. Künstlerische
Positionen, die in ein bestehendes Setting eingreifen, in diesem Fall
einen marginal genutzten, dem Publikum
nicht zugänglichen Raum und
die Schausammlung, ermöglichen es, eine gewohnte Präsentation
zu irritieren.
Diese Irritation kann auf ganz banalen Operationen
basieren: Gegenüberstellung, Austausch, Verdeckung,
Fokussierung,
Akzentuierung. Mit Eingriffen dieser Art in die Struktur werden Details
verschoben, die einen
Bruch in der Gesamtwahrnehmung erzeugen. Die
Betrachter werden dadurch gezwungen, die Irritationen zu
bearbeiten und
ihren störenden Charakter zu beseitigen. Durch die
Auseinandersetzung aber entsteht
automatisch eine neue Sichtweise, die
die ursprüngliche Situation reflexiv gewendet darstellt. Das
Publikum
entdeckt neue Zusammenhänge im Museum. Objekte werden,
Lücken hinterlassend, aus dem Bestand
genommen und aus einer
künstlerischen Sicht heraus an anderem Ort im Sinne einer
Bricolage arrangiert.
Neben den klar definierten und beschriebenen
Museumsobjekten können sich neue Objekte fast wie
Fremdkörper
einfinden oder erstere auch verdecken.
GREGOR GRAF 02.04 bis 27.04.2008
geboren
1976 in Wien, lebt und arbeitet in Linz, zahlreiche Ausstellungen im
In- und Ausland, u.a.
ACF/Visual Arts Platform, London, 2008
Auch
Gregor Graf wählte für seine Inszenierung einen ganz
individuellen Zugang. Nachdem es bei den
ersten beiden Ausstellungen
von „Space Invasion“ um Herrschaftsrepräsentation
durch Architektur (Corinne
L. Rusch) und das Produzieren von
Geschichte/n (Markus Hofer) ging, behandelte Graf nun das Thema des
Wohnens anhand dieser Substandardwohnung in einem Museum. Eine
Vermischung von privatem und
öffentlichem Raum thematisierte der
Künstler im ersten Zimmer der Wohnung. Dieses grenzt direkt an ein
Eingangstor, durch welches früher die BesucherInnen in das
Gebäude kamen. Über ein kleines Fenster
konnte die/der
Portier/e die Hereinkommenden kontrollieren. Als Symbol für diese
Zugangsbeschränkung
stand für den Künstler die Schranke,
deren Verankerung er allerdings nicht in der Durchfahrt, sondern in
der
Wohnung ansetzte. Durch das Beobachtungsfenster reichte dann der Balken
in den öffentlichen Raum
hinaus. Damit wies er auf die einstige
Zwitterfunktion dieses Zimmers hin: einerseits privater Wohnraum
–
Koch- und Waschbereich –, andererseits aber auch
Arbeitsplatz für das Museum.
Gregor
Grafs mehrteilige Installation entstand in intensiver
Beschäftigung mit den vorgefundenen Gegeben-
heiten. Als sichtbares
Zeichen dieser Auseinandersetzung ver-wendete er bei seinen
Interventionen im
zweiten und dritten Raum der Ausstellung vor-handenes
Material aus der Wohnung. Im zweiten, mittleren
Raum befand sich ein
stilisiertes Haus, gebaut aus Teppichfliesen. Die Innenräume des
Gebäudes waren
wie ein Schattenriss dahinter in den Putz geritzt
– der Traum vom Einfamilienhaus in der Substandardwohnung
als
Projektion an der Wand.
Im
dritten und letzten Raum fanden sich die unmittelbaren Utensilien des
Wohnens – Möbel, die aus dem
Holz einer Wandverkleidung, die
noch von der Ausstellung von Corinne L. Rusch stehengelassen wurde,
gebaut wurden. Auch hier arbeitete der Künstler mit vorhandenem
Material. Andernorts befanden sich noch
die Briefschlitze der zweiten
Ausstellung von Markus Hofer. Diese waren zurückgelassen worden,
um die neue
Nutzung dieser ehemaligen Wohnräume als Ort einer
künstlerischen Auseinandersetzung zu dokumentieren.
Auch sie waren
nun zur Geschichte dieser Wohnung geworden und veranschaulichen den
Bedeutungswandel
dieses Ortes – von der Wohnung zur Rumpelkammer
und nun temporär zum Kunstraum.
Graf
hatte Mobiliar aus der Holzwand ausgeschnitten und dieses aus der Wand
heraus-geklappt. Einerseits
konstruierte er hier Tisch, Stuhl und Bett,
die man zum Wohnen braucht, andererseits verwies er gerade mit
diesen
in Wirklichkeit unbrauchbaren Möbelstücken auf die
Abwesenheit von BewohnerInnen. Er inszenierte
einen eingerichteten,
scheinbar bewohnten Raum und erinnerte damit an die ursprüngliche
Funktion der
Räume. Gleichzeitig deuteten die durch das
Auschneiden der Möbel entstandenen Leerstellen in der Wand
auch
die Zerstörung eines vorhergegangenen Zustandes an.
In
der Wand des dritten Raumes hatte Gregor Graf durch Einritzungen ein
Spruchtuch aus der Schausammlung
des Museums nachgezeichnet, das wie
der Abdruck von etwas ehemals Vorhandenem erschien. Mit dem
darauf
gestickten Text griff er ein Zitat aus dem vielfältigen Fundus an
Metaphern und Sprüchen auf, wie sie
rund um das Thema Wohnen und
Heimat oft in Eigenheimen in Österreich auftauchen. Mit seinen
Einritzungen
und dem Herausnehmen von vorhandenen Materialien legte
Graf auch versteckte Nutzungsspuren frei; er
grub sich durch die Putz-
und Teppichschichten und stieß wie ein Archäologe auf
Geschichten der Wohnung.
Der
Künstler zitierte nicht nur in der Portierswohnung die
Schausammlung des Museums, er betätigte sich auch
selbst als
volkskundlicher Sammler und Museumskurator. Ein Teil einer Tapete aus
den Wohnräumen wurde
– transformiert in ein Kunstwerk
– als ein Zeugnis von Alltagskultur in die Schausammlung
überführt.
Vollständig
erschienen in der Österreichischen Zeitschrift für
Volkskunde, Chronik für Volkskunde,
Band LXII/111, Wien 2008,
171-178